Mit der Überprüfung der Radwegbenutzungspflicht hat Dessau-Roßlau einen notwendigen Schritt auf dem vom Stadtrat beschlossenen Weg zu einem Radverkehrskonzept getan. Die momentan herrschende Verunsicherung bei vielen Radfahrern aber auch Autofahrern bedarf nach Ansicht des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) einer verstärkten Aufklärung.
Die gute Nachricht: Radfahrer haben zukünftig die Wahl neben den bisher vorgeschriebenen Radwegen in Zukunft auch die Straße in Anspruch zu nehmen.
Wer im Alltag und in der Freizeit für alle Wege das Fahrrad benutzt und schnell auf der Arbeit sein möchte oder zwischen zwei Terminen noch die Kinder von A nach B bringen muss, benötigt gute Radwege mit ausreichender Breite. Das hat der Gesetzgeber erkannt und neue Standards gesetzt. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil entschieden. Das bedeutet der gekennzeichnete Radweg und die bauliche Anlage von Radwegen nach heutigen Standards bleibt die Regel. Jedoch muss ein Radweg oder eine Radverkehrsanlage nicht zwingend vom Autoverkehr getrennt sein. Im Stadtgebiet von Dessau-Roßlau ist der benutzungspflichtige, baulich vom Autoverkehr getrennte Radweg bisher der Normalfall. Diese Radwege erfüllen das Sicherheitsbedürfnis vieler, besonders älterer Menschen in der Stadt, sie haben jedoch oftmals nicht die heute geforderte „Qualität“ und für sie entfällt zukünftig die Benutzungspflicht, wenn sie nicht mehr durch das blaue Verkehrszeichen gekennzeichnet sind, wie im Fall der Kurt-Weill-Straße.
Eine erste Einschätzung der beteiligten Behörden in Dessau-Roßlau ergab, dass nur ein geringer Teil der Radwegstrecken in Dessau weiterhin benutzungspflichtig sein wird. Diese Einschätzung teilt auch der ADFC-Dessau und nennt als Beispiel Teile der Heidestraße. Beim Rest der Strecken entsprechen jedoch Oberfläche und Breite nicht den Anforderungen für Radwege oder die Verkehrssituation erlaubt eine Aufhebung der Benutzungspflicht, wie in der Gropiusallee, der Wolfgangstraße oder der Ebertallee.
Der bestehende Radweg in der Ebertallee ist grundsanierungsbedürftig. Zudem war die Benutzungspflicht dieser holprigen und schmalen Strecke in beide Richtungen festgelegt. Im Zuge der Fahrbahnsanierung wurde ein Schutzstreifen auf der Fahrbahn angebracht, der ein Maximum an Sicherheit für den Radverkehr garantieren soll. Der Streifen soll die Autofahrer dafür sensibilisieren, dass stadtauswärts in Zukunft Radfahrer auf der Fahrbahn anzutreffen sein werden. Die gestrichelte Linie symbolisiert, dass der Streifen aber auch weiterhin von Autos befahren werden darf. In der Großen Schaftrift, wo es zurzeit keine Möglichkeit gibt einen benutzungspflichtigen Radweg nach heutigem Maßstab einzurichten, wäre die Alternative nur die bauliche Neuanlage neben der Fahrbahn.
Aus Sicht des ADFC ist in diesem Zusammenhang verstärkt darauf zu achten und Autofahrern zu vermitteln, dass beim Überholen ein minimaler Abstand von mindestens 1,50 m einzuhalten ist. Das bedeutet den Gegenverkehr oder den entgegenkommenden Radverkehr passieren zu lassen und zu warten bis die Verkehrssituation ein Überholen erlaubt. Viele Autofahrer haben vermutlich keine eigene Erfahrung damit, was es bedeutet auf dem Fahrrad sehr dicht überholt zu werden oder unerwartet mit einer Autohupe konfrontiert zu werden. Der ADFC möchte beide Verkehrspartner an ein Höchstmaß gegenseitiger Rücksichtnahme erinnern und im Zweifel an das Verständnis der Autofahrer appellieren, denn ohne besondere Kennzeichnung sind nach Straßenverkehrsordnung (StVO) alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt. Die Verkehrspolitik der letzten Jahre hat leider dafür gesorgt, dass durch die bauliche Trennung von Rad und Auto diese Tatsache leider in Vergessenheit geraten ist.
Sind Radwege gut ausgebaut und ist eine besondere Gefährdungssituation durch sehr hohe Verkehrszahlen zu verzeichnen, wird der baulich getrennte Radweg mit Benutzungspflicht weiterhin anzutreffen sein. Der ADFC plädiert zukünftig für die verstärkte Anlage von Radfahrstreifen mit abgetrennter Markierung auf der Fahrbahn, da Radfahrer auf diese Weise im unmittelbaren Sichtfeld des Autoverkehrs besser wahrgenommen werden. Die Unfallursache Nummer eins: Beim Rechtsabbiegen von Fahrzeugen übersehen zu werden, verringert sich nachweislich.
Den Bau und die Instandhaltung von Radverkehrsanlagen wird die Stadt auch zukünftig wahrnehmen müssen, es sei denn und diese Diskussion wird bundesweit zunehmend stärker geführt werden, es sei denn im gesamten Stadtgebiet gilt Tempo 30. Wo in Dessau-Roßlau das Angebot an Radfahrstreifen, Radwegen oder Fahrradstraßen für die Zukunft fit gemacht wird, muss im Radverkehrskonzept der Stadt stehen. Das Konzept muss auch Vorgaben zur Einheitlichkeit von Oberflächen, Querungen und Markierungen enthalten und die Fibel für den Radverkehr in der Stadt werden. Der ADFC-Dessau bietet hierfür seine Mitarbeit und die vorhandene Kompetenz an und bestärkt die Bevölkerung zur Teilhabe an dieser Aufgabe.
Dessau-Roßlau ist ein Modellfall, da die sinkenden Einwohnerzahlen eine Chance sind das Sicherheitsempfinden und die Ansprüche der älteren aber auch der jüngeren Bevölkerung in Einklang zu bringen. Und eines macht nachdenklich: Dessau hat zwar einen hohen Radverkehrsanteil, dieser stagniert aber seit Jahren bzw. sinkt sogar, während in anderen Städten kontinuierliche Steigerungsraten zu verzeichnen sind. Insofern ist der nun erfolgte erste Schritt eine wegweisende Entscheidung für die Renaissance des etwas verblassten Bildes der Fahrradstadt mit bundesweiter Signalwirkung.