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Neubau der Delitzscher Straße (L165) in Halle

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(Informationsstelle Radverkehrsqualität: Stellungnahme 1)

Auf den ersten Blick sieht die neugebaute Delitzscher Straße (L165) vom Hbf. Halle aus gesehen wie ein Hindernisparcours für Radfahrer aus. Obwohl einiges für diesen ersten Blick spricht, besonders der Abschnitt bis zur Freiimfelder Str. – täuscht er als Gesamtblick, einiges ist doch auch gelungen.

Anhand diese Beurteilung wollen wir uns anschauen wie die, ab dem 01.01.2012 in Sachsen-Anhalt für verbindlich erklärten, Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) in Sachsen-Anhalt umgesetzt werden. Durch unsere konstruktive Kritik wollen wir Impulse geben, bei zukünftigen Baumaßnahmen Radverkehrsbelange stärker zu berücksichtigen und Straßen verkehrssicher auszubauen.

Kurzlink zur Karte: http://goo.gl/maps/4PnDa

1. Das Gute: 

Abb. 1.1.1

    • 1.1.

Breite Fahrradspur auf der Fahrbahn auf langen Straßenabschnitten

    •  [Abb. 1.1.1-4]

 

    ( Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ERA 2010, 23, Führungsformen an innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen, Radfahrstreifen: Beschilderung [Abb. 1.1.1 ERA konform (Vz.237), aber überflüssig], Markierung [Abb. 2.6.1 Mängel: fehlende Sicherheitsstreifen zu Längsparkständen])
    1. 1.2.

Einsetzen von Rampenbordsteinen an Grundstückseinfahrten 

    1. [Abb. 1.2.1]

 

    1. Um das ständige hoch und runter an den Grundstückseinfahrten zu vermeiden sind Rampenbordsteine am Straßenrand eingesetzt – hiermit ist der Fahrkomfort der Radfahrer erheblich erhöht.

 

    (ERA 2010, 80, Abb. 88 Beispiele für die Ausbildung von Bordsteinabsenkungen an Rad-/Gehwegüberfahrten, bzw. ERA 2010, 25, Abb. 12 Ausbildung von straßenbegleitenden Radwegen im Bereich von Grundstückszufahrten). [Mängel – sie sind nicht überall eingesetzt]
    1. 1.3.

Überdachte Fahrradabstellanlagen

    1.  [Abb. 1.3.1-2]

 

    1. Dieser Fahrradständer stützt die Vorderradgabel und bietet gleichzeitig eine Anschließmöglichkeit an – mit Witterungsschutz ein tolles Produkt seiner Klasse. Für ähnliche Systeme und weitere Hinweise siehe

ADFC-empfohlene Abstellanlagen.

Alle „Gute“ Abbildungen [pdf 2,3 mb]

2. Das Schlechte:

    1. 2.1.

Bedarfsampeln für Radfahrer

    1.  [Abb. 2.1.1-4]

 

    Wenn überhaupt eingesetzt – muss Bedarfsampel für den Radfahrer so positioniert sein, dass sie von vorhandene Radverkehrsanlagen zugänglich sind ohne dass der Radfahrer gezwungen wird abzusteigen. In der Delitzscher Straße ist dies leider selten der Fall (Ausnahme Europachaussee). [für Lösungsansätze siehe bei „Das Übelste“, Abb. 3.2b.1-2].
    1. 2.2.

Abrupte Rampen auf Hochbordradweg 

    1. [Abb. 2.2.1-2].

 

    Durch die abrupten 2m langen Rampen wird der Radfahrer auf unangenehme Weise am Fuß und Oberkante der Rampe durch einen Doppelstoß wachgeschüttelt. Bei höherer Geschwindigkeit wird der Schütteleffekt schlimmer, was den Fahrgenuss stark mindert. In der ERA ist ein Mindestmaß einer Rampe von 2m vorgesehen, d.h. obwohl ERA-konform (ERA 2010, 78, 11.1.6 Übergang zwischen Seitenraum und Fahrbahn) geht dies nicht weit genug. An den längsten Rampen zur Straßenbahnhaltestellen für Fußgänger und Rollstuhlfahrer sind die Rampen ca. 4-4,5m lang. Bei den angesprochenen Rampen gibt es keinen Grund für dieses künstliche Ausbremsen des Radverkehrs.
    1. 2.3.

Abschnitte, die mit Fußgängern geteilt werden.

    1.  Die Benutzungspflicht sorgt für unnötige Konflikte zwischen Radfahrern und zügigen Radfahrern [Abb. 2.3.1-3]

 

    1. Statt die Benutzungspflicht flächendeckend durchzuziehen wäre es an manchen Stellen angemessen, das Vz. 240 „gemeinsamer Fuß- und Radweg“ (wobei die Radfahrer ihre Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen müssen) durch das Vz. 239 „Fußgänger“ + Zusatzschild „Radfahrer frei“ (Z 1022-10) zu ersetzen = Gehweg/Radfahrer frei. (z.B.: Einmündung der Käthe-Köllwitz-Str. in der Delitzscher Str., Linksabbieger fahren auf der Straße, Rechtsabbieger sind für ca. 40 m gezwungen den Gehweg mit Fußgängern zu teilen). Damit hätten schnellere Radfahrer die Möglichkeit auf der Fahrbahn zu bleiben.


Abb. 2.3.2

    Durch die Gefahr von versteckten Einfahrten (z.B.: vor Hausnummer 22 stadtauswärts, gegenüber Domhotel Europa, Abb. 2.3.1-2) wird der Radfahrer nicht nur ausgebremst, sondern unnötigerweise gefährdet. Die ERA sieht mindestens 2,50 m Breite vor (ERA 2010 3.6 S. 27), die werden aber nicht erreicht und wären hier auch zu wenig, da es sich um eine Hauptroute des Radverkehrs handelt und auch erheblicher Fußgängerverkehr in der Nähe des Hauptbahnhofs stattfindet.
    1. 2.4.

Mangelnde Stetigkeit

    1.  [zw. Freiimfelder Str. und Hbf. Halle, Bordsteinradweg, Abschnitt Zweirichtungsradweg] [Abb. 2.4.1]

 

    Den Zweirichtungsradweg (zw. Einm. Güterbahnhof und Einm. Landsberger Str.) hat der ADFC Halle noch in der Planungsphase bemängelt. Der HAVAG hat sich aber hier durchgesetzt, so dass auf einer Strecke von ca. 120 m ein Radweg entgegen der Fahrtrichtung entsteht. Viele Radfahrer fahren widerrechtlich weiter Richtung Freiimfelder Str. Zweirichtungsradwege sind in der Regel gefährlicher als Einrichtungsradwege, da PKW Fahrer an Einmündungen nicht mit dem von rechts kommenden Radverkehr rechnen.
    1. 2.5.

Mangelhafte Gestaltung von Radwegfurt 

    1. [Abb. 2.5.1-2]

 

    Hier ein eher kleines technisches Detail. Zeigt aber, wie die Baukontrolle mit der Aufforderung von Straßenbahn, Straßenverkehr und Behinderter überfordert ist und oft den Radverkehr schlicht vergisst. Die Furtmarkierung passt zu 50% nicht überein mit der Bordsteinabsenkung, so dass ein Kante entsteht. Die beste Abnahme ist eine Befahrung mit dem Rad – so kommen solche Probleme während der Maßnahme zum Vorschein statt nach der Maßnahme als teure Zusatzleistungen.
    1. 2.6 Markierung Mängel:

fehlende Sicherheitsstreifen

     zu Längsparkständen [Abb. 2.6.1].

Alle „Schlechte“ Abbildungen [pdf 4,3 mb]

3. Das Übelste:

    1. 3.1.

Neue Schildermasten im Radweg

    1. . Der benutzungspflichtige Radweg wird um ca. 40% geschmälert. [Abb. 3.1.1-5]

 

    Das Errichten von neuen Schildermasten mitten im Radweg ist eine neue Qualität. Die sind nicht durch Baken, sondern nur durch Pflasterung räumlich vom Radweg getrennt, die den Radweg um 40% verengt. Die erster Mast (A) steht stadtauswärts kurz vor der Kreuzung Freiimfelder Str. – eine um den Mast fast rechtwinklig dreieckig gepflasterte Fläche ragt in den Asphaltradweg hinein. Der zweite Mast (B) steht stadteinwärts kurz vor der Einmündung der Grenzstr. Das Pflasterungsdreieck ist länger und flacher (ca. 15° Winkel [B], statt ca. 40° Winkel [A]) die Planer haben die Gefahr erkannt und bei der Gestaltung berücksichtigt. Masten gehören nicht in den Radweg. Bis zu ihre Umsetzung müssen sie in der Zwischenzeit mit Warnbaken versehen werden bzw. man sollte die Benutzungspflicht aufheben. Der Fahrkomfort in diesem Abschnitt (vor der Freiimfelder Str.) ist durch zwei gesenkte Abfahrten im Radweg nicht gefördert.
    1. 3.2.

Überquerungen. Neuartige Querungshilfe für MTB?

    1.  Was hat man sich dort gedacht? Gestaltung von Lichtzeichen- bzw. Überquerungsanlagen.


Abb. 3.2a.1

    1. Das Bild Abb. 3.2a.1-2 zeigt im Vordergrund einen gepflasterten Gehweg, danach einen Grünstreifen, danach einen Hochbordstein, danach ein Radverkehrsfurt. Nach ADFC Hinweis ist der Grünstreifen gekürzt und der Bordstein etwas gesenkt [Abb. 3.2a.3-4] – alles gut gemeint – aber keineswegs ausreichend – da man als Radfahrer nicht an die Anforderungstaste (außer mit meterlangen Armen) kommt. Die gute Erreichbarkeit der Anforderungstaste ist in der ERA (2010, 58) Ausbildung von Überquerungsstellen mit Lichtsignalanlagen) vorgesehen. Hier wie auch an anderen Stellen muss ein Bordstein freier Aufstellbereiche für den Radverkehr hergestellt werden, der nicht zum Absteigen zwingt bzw. Konflikte mit querenden Fußgängern verursacht, aber den hindernisfreien Zugang zur Bedarfsampel erlaubt [z.B. Abb. 3.2b.1-2] (Siehe hierzu ERA (2010, 50)) Aufstellbereiche im Seitenraum. Zusätzlich kommt auch hier die Aufhebung der Benutzungspflicht für Linksabbieger in Frage.

 

    Es fehlen weitere Querungsmöglichkeiten. Z. B. kann ein großer Fahrradhändler in der Delitzscher Straße stadtauswärts nur unter Inkaufnahme von mehreren Hundert Metern Umweg über eine folgende Ampelquerung erreicht werden. Dies schafft zusätzliche Gefährdungen, da bekannt ist, dass Radfahrer über eine begrenzte Umwegetoleranz verfügen und erfahrungsgemäß direkt über den Straßenbahndamm queren. Umwegminimierung ist auch ein Kriterium in der ERA (2010, 85).

Alle „Übelste“ Abbildungen [pdf 3,3 mb]

Die letzten zwei Mängel [Masten Abb. 3.1 + Überquerungen Abb. 3.2] gehören zweifelsfrei zu dem Hindernisparcours und wir hoffen, die Stadt wird diese noch vor der endgültigen Bauabnahme kurzfristig beseitigen bzw. die Benutzungspflicht der betroffenen Abschnitte aufheben.

Fazit
Wir fragen nicht, ob die Bedingungen besser oder schlechter sind als vorher – es gilt ganz andere, einfache Fragen zu beantworten:

    1. Kommt der Radfahrer (mit Gepäck, Tandem, Liegerad, Anhänger)

zügig, direkt und komfortabel

     an sein Ziel (einheitlicher Belag ohne Waschbrett, ohne Kanten – Bordstein auf null, mit Vorfahrt, ohne Benutzungspflicht, mit Überholmöglichkeit)?

Dank einer breiten Fahrradspur [Abb. 1.1.1-4] ja, wird aber durch abrupte Rampen [Abb. 2.2], fehlende Überquerungsmöglichkeiten (Nord-Süd, bsd. Erreichbarkeit Fahrradgroßhandel) wodurch lange Umwege entstehen, bzw. Gestaltung von Bedarfsampelanlagen [Abb. 2.1.1-4] ausgebremst.

    1. Kommt der Radfahrer

ohne Hindernisse

     (Masten, Ampel, Poller, Schienen) im Weg an sein Ziel?

Im Allgemeinen ja, wird aber durch Masten [Abb. 3.1.1-4] und Gehweg mit Fußgänger geteilt [Abb. 2.3] ausgebremst.

    1. Kommt der Radfahrer

sicher

     (schmaler Radweg, Zweirichtungsradwege) an sein Ziel?

Im Allgemeinen ja, westl. Freiimfelder Str. gibt‘s Probleme wegen mangelnder Stetigkeit [Zweirichtungsradweg Abb. 2.4.1], dazu fehlende Sicherheitsstreifen [Abb. 2.6.1], versteckten Einfahrten [Abb. 2.3.1-2] Konflikte mit Fußgängern [Abb. 2.3].

Eckdaten:
Maßnahme Länge: 3,9 km Hbf. – Büschdorf (HAVAG 2012)
Baukosten: 33 Million Euro (HAVAG 2012)
Fertiggestellt: 07/2012.

Quelle: „Neuen (sic!) Endstelle Büschdorf feierlich eröffnet“ http://www.havag.com/news-detail/neuen-endstelle-bueschdorf-feierlich-eroeffnet/2012/3/1/1277, HAVAG 10.07.2012.

Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Straßenentwurf. Köln, 2010, ISBN: 978-3-941790-63-6

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