Fahrradklimatest
Mehr Teilnehmer, mehr Städte: Über 120.000 Bürgerinnen und Bürger (2014: 100.000) haben 2016 das Fahrradklima in 539 Städten (2014: 468) beurteilt. Per Fragebogen haben sie bewertet, ob das Radfahren Spaß oder Stress bedeutet, ob beispielsweise Radwege im Winter geräumt werden und ob sie sich auf dem Fahrrad sicher fühlen. Die Ergebnisse zeigen, wo sich Verkehrsplaner und politisch Verantwortliche erfolgreich für besseren Radverkehr einsetzen und auch wo sich Radfahrende von ihnen allein gelassen fühlen.
Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die größte Befragung zum Radfahrklima weltweit und fand zum siebten Mal statt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur fördert den Fahrradklima-Test aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020.
Ergebnisse in Halle (Saale)
Der Platz 35 von 39 Städten mit mehr als 200 Tsd. Einwohner kann kein Grund zur Gelassenheit sein. Genau so wenig wie die Gesamtnote 4,25. Was Wunder wenn die Fahrraddiebstahlzahlen in Halle auf nunmehr Platz 4 bei den Diebstählen pro Tausend Einwohner in Deutschland explodiert sind, die Aufklärungsquote gering bleibt und der Ausbau von anschließbaren und damit sicheren Fahrradabstellanlagen sehr schleppend voran geht. Die positiv zu sehende Verankerung der Radabstellanlagen in der Bausatzung der Stadt wird erst mit der Zeit sichtbare Erfolge zeigen. Deshalb ist die Verschlechterung von 4,8 (2014) auf 5,1 bei den Fahrraddiebstählen mehr als gerechtfertigt. Neue, sofort angenommene Abstellanlagen wie am Kleinschmieden zeigen den großen Bedarf und sind gut für Radfahrer und Einzelhandel, für Radabstellanlagen selbst gibt es eine Note 4,2.
Da sich an dem fehlenden Winterdienst und den vernachlässigten Radwegen nichts geändert hat, bleibt es auch hier bei 5,1 (2014:5,3) bzw. 4,6 (2014:4,7).
Trotz vieler Knöllchen in der Torstraße bleibt das gefährliche Zuparken von Radwegen und -streifen in Halle ein alltäglich anzutreffendes Kavaliersdelikt. Ein höhere Kontrolldichte ist dringend zu wünschen.
Es gibt und gab wenig Werbung für das Radfahren, die 5,0 (2014:4,9) ist folgerichtig.
Die Ausschilderung an Baustellen bleibt ein Thema und ist mangelhaft (5,0; 2014:4,9), man denke z. B. an die monatelang fehlende Führung und Umleitung des Radverkehrs am Steintor oder aktuell an die Baustellen in der Dessauer Straße. Hier könnte man leicht auf gute Beispiele in anderen Kommunen zurückgreifen.
Die Wegweisung für Radfahrer ist in Halle sehr rudimentär (Note 4,0) die wenigen öffentlichen Leihfahrräder der DB sind kein wirkliches Angebot (4,1). Die Ampelschaltungen wie am Reileck oder am Uniring, Ecke Geiststr., Ulrichstr (Note 4,4; 2014: 4,3), aber nicht nur dort, lassen das Urteil der Radfahrer noch mild erscheinen.
Gute Werte gibt es wieder, wie schon 2014 bei der Erreichbarkeit des weitgehend autofreien Stadtzentrums (2,9 gegenüber 2,8 in 2014), beim zügigen Radfahren (3,1 gegenüber 3,0 in 2014) und bei den geöffneten Einbahnstraßen (2,8). Wer es einmal ausprobiert hat wird feststellen: das Fahrrad ist das schnellste Verkehrsmittel auf Strecken bis zu 5 km und mehr in Halle; das erklärt die guten Noten.
Erfreulich ist auch das Gefühl nicht allein auf dem Fahrrad zu sein (Note 3,2 für „Alle fahren Fahrrad“).
Kommt aus den verbesserten Mitnahmemöglichkeiten in den Regionalzügen nach Eisleben und in Richtung Merseburg heraus die etwas verbesserte Bewertung bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV zum Ausdruck (4,3 gegenüber 4,5 2014)?
Der Radverkehr in Halle wartet weiter auf eine Haushaltsstelle, der Stellenwert des Radverkehrs wird auch deshalb als gering eingeschätzt (4,7). Von der „Kultur- und Sporthauptstadt“ Halle zur „Kultur- Sport- und Fahrradhauptstadt“ Halle ist es deshalb noch ein langer Weg. Selbst Maßnahmen mit geringem finanziellem Aufwand werden über Jahre nicht umgesetzt: Die Infotafel für Radfahrer am Hauptbahnhof lässt deshalb trotz langjährigem Stadtratsbeschlusses auch 2017 weiter auf sich warten.
Gespannt ist man was aus der Initiative des OB vom vergangenen Jahr zur Einrichtung von neuen Tempo-30-Zonen und die der Linken im Stadtrat zur Prüfung von mehr Fahrradstraßen wird. Das Sicherheitsgefühl (4,4 statt 4,5 in 2014) könnte kostengünstig verbessert und die Konflikte mit Kfz (4,5 statt 4,4) reduziert werden.
Aktuelle Verbesserungen (wieder Note 4,2 wie 2012), wie das neu gebaute Steintor oder die Sanierungen am Saaleradweg sind noch nicht eingepreist. Aber auch am Steintor hat man dem Radverkehr kein cm mehr als unbedingt nötig eingeräumt, neidisch schaut man auf die großzügigen Abbiegespuren für den Kfz-Verkehr (wieder Note 4,8 für Breite der Radwege). Zumindest die Pflastersteine sind am Steintor verschwunden, aber wer bei teuren Sanierungen wie in der Ulrichstraße auf einer der Hauptrouten des Radverkehrs holpriges Betonsteinpflaster verlegt, kann auch bei der Note für Oberflächenqualität nicht mit Bestnoten rechnen (4,5 wie 2012). Die weitere umfangreiche marode Infrastruktur vieler Radwege und Mischverkehrsflächen bleibt nicht vergessen.
Im Ergebnis bleibt der Spaß beim Radfahren noch begrenzt (Note 3,9), obwohl der schon über dem Komfort (4,6), dem Fahrradklima (4,29), der Sicherheit (4,5) oder auch der Akzeptanz als Verkehrsteilnehmer (4,2) angesiedelt wird.
Wie man den Weg zur Fahrradstadt bestreiten könnte, kann man beim Städtepartner Karlsruhe in Erfahrung bringen. Karlsruhe als mittlerweile Nr. 2 bei den 39 Städten über 200 Tsd. Einwohner „setzt auf eine gute Mischung aus systematischer Radverkehrsförderung mit messbaren Zielen, ein flächendeckendes Radwegenetz und auf Kommunikation (Kampagne „Tu’s aus Liebe“ für besseres Verkehrsklima)“.